Was haben Perfektionismus, Mangel an Initiative und Fehlerkultur gemein? Erst einmal nicht viel. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass diese Aspekte eng miteinander verbunden sind. Gleichzeitig ist der Umgang mit diesen Aspekten in Deutschland und den Niederlanden kulturell bedingt anders. Das ist im deutsch-niederländischen Kontext vor allem nach Firmenzusammenschlüssen oder Übernahmen zu beobachten, aber auch in deutsch-niederländischen Projektteams spielt dieses Phänomen durchaus eine Rolle. In diesem Blog lesen Sie, warum das so ist – und wie Sie damit umgehen können.

Maximale oder optimale Leistung

Fehler wurden schon immer gemacht. In jedem Team und in jeder Organisation gehen Dinge schief. Oft durch Unachtsamkeit oder Mangel an Kommunikation. Manchmal auch durch Prozesse, die nicht aufeinander abgestimmt sind.

Häufig spielt noch etwas anderes eine Rolle: Perfektionismus und die damit einhergehende Angst, Fehler zu machen. Mehr als Niederländer legen Deutsche Wert auf maximale Leistung. Sozusagen auf den Unterschied zwischen “nur das Beste ist gut genug” oder “auch ein Gut ist gut genug”. Die Fokussierung auf maximale Leistung erzeugt häufig Perfektionismus. Und das hat wiederum sehr viel mit preußischen Tugenden wie Disziplin und Pflichterfüllung zu tun, die in Deutschland immer noch einen hohen Stellenwert haben. Klar, Niederländer haben dagegen auch nicht viel einzuwenden! Der Umgang damit ist jedoch häufig pragmatischer.

Der hohe Stellenwert, den der reibungslose Ablauf industrieller Prozesse und perfekt hergestellte Produkte „Made in Germany“ haben, trägt sein Übriges dazu bei. Fehler machen ist dann natürlich ein Tabu-Thema. Im schlimmsten Fall führt die Angst, Fehler zu machen, zu einer Art Lähmung und Untätigkeit. Lieber nichts tun als etwas Falsches! Die Folge: passives und defensives Verhalten und Mangel an Initiative. Tödlich für jede Art der Zusammenarbeit und des Geschäftemachens, vor allem in der heutigen Zeit, in der schnelles und agiles Handeln gefragt sind.

Aus menschlicher Sicht ist solches Verhalten jedoch verständlich, vor allem wenn man weiß, dass Fehler leider noch allzu oft bestraft werden. “Nicht geschimpft ist genug gelobt ” ist eine bekannte deutsche Redeweise, die sehr klar macht, wie der deutsche Umgang mit Leistung und Fehlern manchmal ist. Meistens wird einfach erwartet, dass man seine Arbeit gut und richtig macht – dafür wird man ja bezahlt. Ein zusätzliches Lob für einen Mitarbeiter, der seine Aufgabe besonders gut gemacht hat, ist nach dieser Auffassung nicht notwendig. Ganz schlimm ist es, wenn ein negatives Menschenbild hinzukommt, zum Beispiel, dass Mitarbeiter faul sind und sich nur anstrengen, wenn sie dazu – auf nicht sehr sanfte Art und Weise – angespornt werden.

Der Ruf nach einer ‘Fehlerkultur’

Dass diese Auffassung nicht mehr zeitgemäß ist, zeigt der laute Ruf in Deutschland nach einer Fehlerkultur – einem offenen, konstruktiven Umgang mit Fehlern. Hierzu eine kleine Stichprobe aus März 2019: Das deutsche Google listet 232.000 Ergebnisse für den Begriff „Fehlerkultur“ auf, 11.400 für „offene Fehlerkultur“ und 178.000 für „Umgang mit Fehlern“. Das niederländische Google zeigt lediglich 2.110 Ergebnisse für “foutencultuur“, 428 für „open foutencultuur“ und 5.610 für „omgang met fouten“.

Eine wissenschaftlich basierte Stichprobe ist das natürlich keineswegs. Dennoch sprechen die Zahlen ihre eigene Sprache: Offenbar haben die Niederländer weniger Probleme damit, wie bei ihnen mit Fehlern umgegangen wird, während man in Deutschland ein großes Bedürfnis nach einem anderen Umgang verspürt. So ist es auch gar nicht verwunderlich, dass Probleme auftauchen, sobald Deutsche und Niederländer zusammenarbeiten.

Deutsch-niederländische Fehlerkultur schaffen

Die große Frage ist natürlich: Wie schafft man eine grenzüberschreitende und offene Fehlerkultur, in der es keine Angst vor Fehlern gibt und Raum für Initiative und Entwicklung entsteht? Hier 3 Tipps, die Ihnen bei der Bewältigung von Kulturunterschieden zwischen Deutschen und Niederländern in diesem spezifischen Kontext helfen.

1. Bewusstsein für den Unterschied schaffen

Der typische Fehler:

Unbewusst davon ausgehen, dass der Umgang mit Fehlern in allen Kulturen gleich ist. Dies ist – natürlich – nicht der Fall, wie auch aus der kleinen Stichprobe bei Google hervorgeht.

Was Sie stattdessen tun können:

Fangen Sie damit an, den Unterschied im Umgang mit Fehlern zu besprechen. Finden Sie heraus, welche “kulturellen Codes” übereinstimmen und welche sich unterscheiden. Bedeutet “fehlerfreies Arbeiten” für einen jungen niederländischen Mitarbeiter wirklich genau das Gleiche wie für seinen Altersgenossen aus Deutschland? Wie hoch ist die Fehlertoleranz in der Produktion? Was bedeutet “rechtzeitig”, wenn notwendige Informationen angefordert werden? Und wie geht man in Deutschland und in den Niederlanden um mit Dingen, die danebengegangen sind?

Das Besprechen solcher Punkte und vor allem die Offenlegung der zugrunde liegenden Werten ist der erste, gleichzeitig einer der wichtigsten Schritte, um (a) ein besseres Verständnis füreinander und (b) überhaupt eine gemeinsame Fehlerkultur zu schaffen.

2. Eine gute Feedbackkultur einführen

Der erste typische Fehler:

Kein Wort des Lobs, stattdessen nur Kritik. Nicht unter vier Augen, sondern vor versammelter Mannschaft. Bevorzugt als Wutausbruch …

In jedem Managementbuch, in jedem Kommunikationskurs lernt man: so nicht! Dennoch passiert es häufiger, als man glaubt. Einfach, weil eine negative Reaktion auf Fehler ein natürlicher Reflex ist. Oft sind wir damit aufgewachsen, kennen wir solche Reaktionen von Eltern oder Lehrern. Angst vor Fehlern ist nicht angeboren, sondern übernommen und anerzogen worden. Und was man gelernt hat, kann man im Prinzip auch wieder verlernen.

Der zweite typische Fehler:

Nicht berücksichtigen, dass Deutsche und Niederländer auf unterschiedliche Art und Weise Feedback geben. Viele Niederländer sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, Emotionen zu zeigen – das calvinistische Erbe lässt grüßen. Andere sind geradezu sehr direkt und sprechen unverblümt ihre Kritik aus. In Deutschland erlebt man häufig ein sachlicher Umgang mit Kritik, die durchaus auch sehr offen sein kann. Hier ist es Sache, die unterschiedlichen Feedbackstile zu analysieren und auf eine Linie zu bringen.

Was Sie stattdessen tun können:

Für eine gute Feedbackkultur in Ihrem deutsch-niederländischen Projektteam oder Unternehmen brauchen Sie zwei Elemente:

1. Gemeinsam Feedbackregeln ausarbeiten. Erarbeiten Sie gemeinsam, was akzeptabel ist und was nicht. Und weisen Sie Ihre Kollegen bei Optimierungsbedarf – natürlich regelkonform ? – darauf hin.

Vergessen Sie dabei nicht, dass Verhaltensänderungen Zeit brauchen. Denken Sie zum Beispiel daran, wie mühsam es ist, die guten Vorsätze vom Jahresanfang beizubehalten. Manchmal braucht man dafür mehrere Jahreswechsel! Geduld und Beharrlichkeit sind, außer guten und von allen akzeptierten Feedbackregeln, wichtige Voraussetzungen für das Gelingen einer gemeinsamen Feedbackkultur.

2. Die eigene Einstellung zu Fehlern hinterfragen. Viele Menschen, die sich mit Fehlern schwertun – vor allem Perfektionisten – glauben, dass Fehler persönliche Unzulänglichkeiten sind. Das verursacht nicht nur Frust, sondern ist auch nicht gerade ermutigend … Solange man tief im Inneren von seinen Unzulänglichkeiten überzeugt ist, werden auch die besten Feedbacktrainings das Problem nicht lösen. Denn sobald man unter Druck steht, fällt man wieder in seine alten Gewohnheiten zurück. Daher ist es wichtig, sowohl “über als auch unter der Oberfläche“ zu arbeiten.

3. Fehlerkultur einführen

Der erste typische Fehler:

Nicht berücksichtigen, dass deutsche und niederländische Unternehmen andere Organisationsstrukturen haben.

Was Sie stattdessen tun können:

Das Einführen einer offenen, konstruktiven Fehlerkultur ist nichts anderes als ein Kulturwandel, der Ihr ganzes Team, Ihr gesamtes Unternehmen und Ihre gesamte Organisation umfasst. Dabei geht es nicht nur um die Fehlerkultur für sich – also wie gehen wir mit Fehlern um, wie wollen wir sie analysieren und daraus lernen. Man wird auch die Organisationsstruktur und die Kompetenzen überprüfen und gegebenenfalls anpassen müssen.

Ein Beispiel verdeutlicht dies. Niederländische Unternehmen sind weniger hierarchisch organisiert, Entscheidungen werden häufig im Einvernehmen mit dem Team getroffen Die Entscheidungsträger in den meisten deutschen Unternehmen dagegen sind normalerweise die Führungskräfte, während die Kompetenzen von Teammitgliedern deutlich eingeschränkter sind als in den Niederlanden.

Man wird sich also Klarheit über die problematischen Schnittstellen in der jeweiligen Organisationsstruktur und in den jeweiligen Kompetenzbereichen verschaffen und sich überlegen müssen, wie man damit umgeht, welche Anpassungen man vornehmen möchte usw.

Der zweite typische Fehler:

Nicht berücksichtigen, dass sich der Führungsstil in den Niederlanden und in Deutschland manchmal unterscheidet.

Was Sie stattdessen tun können:

In welchem Klima zeigen Mitarbeiter mehr Initiative: In einem Klima, in dem sie ständig beobachtet und kontrolliert werden, ob sie regelkonform arbeiten? Oder in einem Klima, in dem die Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen und es ihnen so ermöglichen, anstehende Aufgaben auf ihre eigene Art und Weise zu erledigen?

Wer möchte, dass Mitarbeiter ihre Angst, Fehler zu machen, loswerden und ihre Arbeit mit mehr Selbstvertrauen und Initiative erledigen, muss als Führungskraft loslassen können.

In den Niederlanden sind Führungskräfte traditionell eher Generalisten als Fachspezialisten. Bei der Mitarbeiterführung gehen sie daher nicht so sehr von ihrer eigenen Expertise aus, sondern sie konzentrieren sich „notgedrungen“ auf allgemeinere Aufgaben. Bedingt durch die flachen Hierarchien haben niederländische Mitarbeiter ein Gefühl der Gleichwertigkeit und eine gewisse Allergie gegen “Einmischen und Befehle von oben“. Schließlich ist die niederländische Kultur durch den ewigen Kampf gegen das Wasser und den jahrhundertelangen Überseehandel davon geprägt, dass man schon selbst die Initiative ergreifen und „die Ärmel hochkrempeln“ muss.

In Deutschland sind Führungskräfte, vor allem in technischen Berufen, häufig Fachspezialisten, die sich bis ins kleinste Detail auskennen. Wenn sie irgendwann – häufig auf Grund ihres Dienstalters – Führungsaufgaben bekommen, fällt es ihnen nicht nur schwer, sich von ihren detaillierten Aufgaben (und der Kontrolle) zu lösen. Viele deutsche Mitarbeiter erwarten von ihren Führungskräften auch, dass diese die Antwort auf fachliche Fragen wissen. Führungskräfte und Mitarbeiter halten sich in dieser Hinsicht sozusagen gegenseitig im „Würgegriff“.

Der Führungsstil und das Maß an Kontrolle gehören daher zu den wichtigsten Elementen, die man mit der Einführung einer Fehlerkultur bei einer deutsch-niederländischen Projektgruppe oder nach einer Fusion oder Übernahme besprechen sollte. Genauso wie beim Thema Feedbackkultur spielt auch hier die eigene Haltung eine wichtige Rolle. Nur in einem Klima, in dem Mitarbeiter nicht ständig kontrolliert werden, keine Angst vor Fehlern haben oder sich rechtfertigen müssen, werden sie Initiative zeigen. Um die Bereitschaft der Mitarbeiter zu fördern, mit „Trial-and-Error“ neue Wege zu gehen, ist das Aussprechen von Vertrauen von wesentlicher Bedeutung.

Offene Fehlerkultur ist produktiv

Diese Tipps helfen Ihnen dabei, die Kulturunterschiede zu beachten, die mit der Einführung einer Fehlerkultur bei ein deutsch-niederländisches Projektteam oder Unternehmen eine Rolle spielen. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern ist nicht nur förderlich für das Klima in Ihrem Team oder Unternehmen. Ohne Angst vor Fehlern spart man auch direkt und indirekt Kosten, erreicht man schneller seine Ziele und sind Teams und Unternehmen einfach innovativer. So wollen wir doch alle gern arbeiten!

© Bildnachweis: panterhmedia_artitcom

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